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Requiem für meinen Onkel in einer Kirche in der Oberpfalz.
Ich singe. Habe mich mit der Organistin auf Lieder aus dem Gesangbuch von Schemelli, das Bach bearbeitet hat, und das „Ave verum“ von Mozart geeinigt.
Während der Gabenbereitung singe das wunderbare Lied „Komm süßer Tod“.
Für mich ist es in der Tat eines der schönsten und innigsten Lieder von Bach. Gerade in den ersten Takten auf den Vers „Komm süßer Tod, komm selge Ruh“, ist die Melodie so gestaltet, daß die Zeit stehen zu bleiben scheint. Dann erst kommt Bewegung in den musikalischen Satz.
Um das rüberzubringen ist höchste Konzentration erforderlich und vor allem: man muß selber in diese Ruhe kommen.
Wie gesagt, während der Gabenbereitung singe ich dieses Lied.
Während der Gabenbereitung geht aber auch der Messdiener mit seinem Klingelbeutel durch die Reihen, um das Opfer der Gläubigen in Form von ein paar Cent, wenn es hoch kommt von ein paar Euros - bei Beerdigungen sind die Gläubigen in der Regel spendabler -, einzusammeln.
"Komm süßer Tod, komm selge Ruh" – die erste Strophe. Ich bin gut konzentriert und bin auch selber in die Ruhe gekommen, die das Lied braucht.
Ende der ersten Strophe. Ich registriere, daß jemand auf die Empore kommt.
Es ist der eifrige Messdiener mit seinem Klingebeutel.
Für die 3 Männer da oben hätte er sich vermutlich seinen Steilanstieg sparen können. Sie machen nicht gerade einen sehr spendierfreudigen Eindruck und gehören weder zur Verwadtschaft noch haben sie den Verstorbenen gekannt. Das sieht man. Für sie fällt ein Reqiuem wohl eher unter die Kategorie „nachmittägliches Unterhaltungsprogramm“ und „Befreidigung der Neugierde“.
Aber der Messdiener ist eifrig bemüht, jeden Gläubigen zu erreichen. Jeder muß schließlich die Chance bekommen, sein Opfer zu geben.
Auch hätte der eifrige Messdiener warten können, bis ich zu Ende gesungen habe.
Aber nein, das geht auch nicht, er muß seinen Auftrag erfüllen, schnell, erbarmungslos, egal, was grad um ihn herum geschieht.
"Komm, süßer Tod, ..." – die zweite Strophe beginnt gerade. Also die Stelle, die musikalisch so besonders berührt, die Stelle, bei der die Zeit stehen zu bleiben scheint...
Da kriecht der Messdiener unter meinen ausgestreckten und das Notenblatt haltenden Armen durch, um auch noch den letzten Mohikaner sprich den letzten auf der Empore sich versteckt habenden und seinen Opferobulus in den Klingelbeutel versenkenden Katholiken zu erreichen.
"...Komm selge Ruh" – mir bleibt nur noch, mich noch mehr auf die Musik zu konzentrieren; denn der eifrige Diener des Herrn bleibt natürlich nicht oben und wartet, bis ich fertig bin, nein: er kriecht wieder unter meinen ausgestreckten und das Notenblatt haltenden Armen durch – und verschwindet nach unten.
"Komm süßer Tod, komm selge Ruh" – die dritte Strophe. Ich hab mich nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Im Nachhinein stelle ich mir das Ganze im Film vor und krieg einen innerlichen Lachanfall, der nur mühsam unter Verschluß zu halten ist, sprich der sich zu gerne in lautem Brüllen kundgetan hätte.
Und das bei der Beerdigung meines Onkels und bei meinem herzerreißenden Gesang, bei dem unten eifrig die Taschentücher gezückt worden sind, wie mir anschließend berichtet wurde.
Ja, so ist das Leben.
Soll ich euch noch verraten, warum ich mich so absolut nicht aus der Ruhe hab bringen lassen? Ich war sehr gut geerdet und energetisch geschützt! Ich kann das nur empfehlen!