test
Gestern war ich kurzentschlossen auf einem Seminar mit dem Schamanen Angaangaq aus Grönland. Das Seminar war zwar schon lange ausgebucht. Ich hatte am Freitag den Vortrag von Angaangaq besucht und da hieß es plötzlich, daß jetzt doch noch ein paar Plätze frei sind. Also sofort anmelden und nix wie hin!
Danke! Danke! Danke!
Das ist das erste, was ich sagen kann und möchte.
Danke für diese Hingabe und Liebe, die Angaangaq jedem einzelnen von uns - ich glaube, es waren an die 90 Teilnehmer/innen - hat zukommen lassen!
Ich versuche mal in Worte zu fassen, was mich so berührt hat.
Die Reden von Angaangaq sind sehr einfach. Und sehr klar. So einfach und so klar, daß sich der Verstand erst mal wehrt. Aber dieses Spiel kenne ich ja inzwischen nur zu gut. Das Ego will gerne von der Wahrheit des Herzens ablenken, weil es weiß, daß es auf seinen Platz verwiesen und entmachtet wird. Aber allzu lange hatte das Ego bei der Herzenskraft Angaangaqs ohnehin keine Chance.
Angaangaq heilt Menschen durch Berührungen und mit seinem Gesang und seiner Trommel. Ihn zu beobachten und es am eigenen Leib zu spüren, mit welcher Hingabe und Liebe er für jeden Menschen singt, mit welcher Liebe und Hingabe er jeden Menschen berührt, in seine Arme schließt und anlächelt, ist schlichtweg ein ganz großes Geschenk. Da ist nichts, aber auch gar nichts gespielt, gekünstelt. Jede Geste ist einfach, natürlich, wahrhaftig. Mit seinem ganzen Wesen strahlt Angaangaq eine tiefe Verneigung vor der Schönheit jedes einzelnen Menschen aus, egal wie der grad drauf ist.
Vergleichbares habe ich bei meinem wunderbaren tibetischen Lehrer, Tarab Tulku, bei Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama und bei Lati Rinpoche, dem philosophischen Berater des Dalai Lama gespürt. Da kann ich mich an einen Vortrag erinnern, bei dem ich mich als Mensch vollkommen angenommen gefühlt habe mit allen Kanten und Ecken und allen dunklen Seiten meines Wesen. Das hatte ich zuvor noch nie erlebt. Ich kann mich erinnern, dass bei dem Vortrag Lati Rinpoches auch eine Heilung geschehen ist. Damals konnte ich die Energien noch nicht wahrnehmen. Aber das war wohl eine ganz starke Herzenergie.
Einen westlichen Lehrer oder Meister, der eine so tiefe Liebe ausstrahlt, habe ich bisher nicht getroffen. Das heißt jetzt nicht, dass es sie nicht gibt. Ich bin halt bisher keinem begegnet.
Nun ist der Schamanismus bei uns ja gerade ziemlich „in“.
Ich bin mir sicher, daß die Begegnung mit dem Schamanismus für jeden einzelnen eine große Bereicherung ist. Auch für mich ist sie das. Aber ich nehme auch wahr, wie schnell da was verwechselt wird.
Die Einfachheit der Rede Angaangaqs hat was von der Erhabenheit und Weite der Landschaft, aus der er kommt. Sie ist gewaltig und ein Ärgernis für den Intellekt, der das Komplizierte und Gekünstelte liebt.
Bei westlichen Schamanen habe ich schon öfters erlebt, daß Einfachheit verwechselt wird mit - leider kann ich es nicht anders sagen - fehlender Bildung. Und gerade das ist ein Schamane nicht: ungebildet. Ganz im Gegenteil! Ein Schamane trägt das Wissen seiner Kultur in sich, er trägt die Lieder seiner Ahnen in sich, die Geschichten seiner Ahnen, die Kraft seiner Ahnen. Er ist der Träger seiner Kultur.
An dieser Stelle muß ich mich fragen, welches Wissen ich in mir trage, welche Lieder, welche Geschichten, welche Ahnenkraft.
Was ist mit meiner Tradition? Wo ist sie? Wo ist sie noch lebendig, wo nur noch erstarrt und kraftlos?
Mit dieser Frage will ich die Leistungen der westlichen Kultur weder abwerten noch in Frage stellen. Aber ich sehe, dass unsere Kultur leer geworden ist, dass wir uns nicht mehr darum kümmern, sie lebendig werden zu lassen. Es gelingt uns manchmal, aber ganz oft gelingt es uns nicht. Wir machen mechanisch, was immer getan wurde, ohne es mit Liebe und Hingabe zu tun und damit mit Leben zu erfüllen. Unsere Krankheit ist die Gleichgültigkeit gegenüber dem, was wir an Tradition haben. Wir sind zu bequem, das mit Leben zu erfüllen, was sich auch einfach ohne jegliche Mühe abspulen lässt. Dafür kümmern wir uns um die Fassade, um den Schein und die Verpackung und das Geld, damit der schöne Schein auch finanziert werden kann.
Da scheint es in den indigenen Kulturen noch mehr Intaktes zu geben. Es scheint noch Familien zu geben, die weniger "krank" sind, es scheint noch Menschen zu geben, die in sich ruhen. Auch wenn diese Kulturen extrem bedroht sind – man denke nur an das Problem Alkohol -, gibt es doch einzelne Persönlichkeiten, die noch stark und kraftvoll sind, aufgewachsen in starken und kraftvollen Familien. Ich denke da auch an Galsan Tschinag, der für seinen Stamm und die Tradition seines Stammes Enormes leistet.
Nun glaube ich nicht, dass die Rettung des Westens darin besteht, sich fremdes Kulturgut anzueignen, sprich beim Schamanen aus Südamerika, Afrika, dem Altai oder aus Grönland in die Lehre zu gehen und unbefragt zu übernehmen, was man dort gelernt hat. Wir haben in unserer Tradition keine Schwitzhütten – ich kenne sie jedenfalls nicht -, wir haben eine Landschaft, die ganz spezifisch ist, wir haben eine spezifische Flora und eine spezifische Fauna. Der Kolobri als Krafttier macht für mich persönlich wenig Sinn. Es gibt ihn in meiner Umgebung nicht.
Ich persönlich glaube, dass uns die Begegnung mit Schamanen aus indigenen Kulturen den Blick dafür öffnen kann, was wir an eigenen Traditionen haben. Und die haben wir sehr wohl.
Wir können von den indigenen Kulturen lernen, was uns verloren gegangen ist und in unserer Tradition das wieder ausgraben, was dem entspricht. Dabei stehen zu bleiben, die schamanischen Zeremonien aus anderen Kulturen einfach nur zu übernehmen, das ist meiner Meinung nach eine nette Freizeitbeschäftigung. Ich habe aber die Befürchtung, dass das nicht ausreicht, um die Kraft unserer Kultur wieder zu finden.